On Tour durch Patagonien

mit dem Fahrrad durch Südamerika

Persönlicher Rückblick

Nachdem ich wieder mit dem Rad Zuhause angekommen war, habe ich mich sehr schnell wieder in den Alltag eingelebt und hatte wieder neue Ziele vor Augen. Vor allem die Zeit mit meiner Freundin Hanna, Freunden und Familie, sowie den „leichteren und bequemeren“ Alltag habe ich in vollen Zügen genossen.

Sobald ich aber doch noch einmal in längere Gespräche über meine Reise verwickelt war oder mich mit meinen zahllosen Fotos beschäftigt habe sprudelten die Erinnerungen allerdings wieder hoch. Erst jetzt, über 6 Monate nach dem Ende der Tour habe ich aber das Gefühl dieses Kapitel langsam für mich abschließen zu können. Gerade mit diesem zeitlichen Abstand, bleibt ein Durchweg positiver Eindruck dieses Abenteuers zurück und die Strapazen auf so mancher Etappe geraten etwas mehr in Vergessenheit.

Was definitiv bleibt sind die Erinnerungen an die Landschaften, aber vor allem die bisher sicherlich unterrepräsentierten Menschen die ich kennengelernt habe. Wenn ich gefragt werde, welche dieser Reisebekanntschaften für mich gerade im Rückblick am prägendsten war, habe ich immer Bernard (oben Mitte) genannt. Meinen 60 jährigen holländischen Adoptivvater lernte ich erst in Villa O’Higgins am Beginn der Carretera Austral kennen. Wir verbrachten dort einige Tage gemeinsam auf dem gemütlichsten Hostel-Campingplatz der gesamten Reise. Dabei erfuhr ich eine Menge über Bernards bewegte Lebensgeschichte, die in einem Dorf an nahe der deutschen Grenze begann, sodass wir problemlos miteinander deutsch reden konnten. Mit dem Studium in tropischer Landwirtschaft in Holland startete sicherlich sein abwechslungsreicher Lebensweg. Dieser führte ihn in die staatliche holländische Entwicklungshilfe in Südamerika. Von dort lernte er mit der Zeit die meisten Länder Südamerikas und vor allem die etwas andere Mentalität kennen. Dabei verbrachte er später auch wieder einige Jahre in Holland und suchte sich beruflich immer wieder Abwechslung. Er betrieb einen Souvenirshop an einer Robbenauffangstation, einen eigenen Naturkostladen, kaufte eine kleine Erdnussbutterfabrik auf und baute schließlich selbst ein Haus direkt hinterm Deich.

Als ihm dann ein sehr guter Preis dafür angeboten wurde, investierte er sehr erfolgreich in Appleaktien bevor das Unternehmen wieder mächtig im Aufschwung war. Als Vogel und Naturbegeisterter Mensch kam ihm dann später eine weitere verrückte Idee. Er begann online die für die Identifikation vieler Vogelarten nötigen Vogelstimmen aufzukaufen und online zu vertreiben. Anfangs wieder belächelt, verdiente er später mit seinen mehreren tausend Kunden und Messeauftritten in aller Welt genügend Geld mit seiner Homepage um davon gut leben zu können. Auch dort entschied er sich dann aber kurz vor seiner Südamerikareise mehr oder weniger für den Vorruhestand und andere neue private Projekte. Im Moment möchte er die Sommer einfach in Holland im Garten und mit Familie verbringen, während er im europäischen Winter wieder für längere Reisen auf die Südhalbkugel ausfliegt.

Fasziniert hat mich an Bernard vor allem seine entspannte, lebensbejahende Lebensweise und seine Zuversichtlichkeit und Lebenserfahrung. Er hatte viel Spaß daran seine Erfahrungen und Geschichten mit mir zu teilen und so habe ich in unserer gemeinsamen Zeit eine Menge lernen können. Gerade seine Kenntnis über die gesellschaftliche Mentalität und sein Durchsetzungsvermögen habe ich gleich zu Anfang kennengelernt. Sein Motto „Für ein Nein gehe ich nicht“ sicherte uns so z.B. doch noch einen Platz auf dem „vollen“ Campingplatz in Villa O’Higgins weil er bei der Besitzerin einfach nicht locker lies.

Der herzliche Spanier Gabriel ist begnadeter Fahrradmechaniker [Foto: Bernard Geling]

Auch sonst habe ich eine Vielzahl toller und interessanter Menschen kenngelernt, gerade auch weil einem die Reise auf dem Rad so manche neue Tür öffnet und den Kontakt zu Einheimischen vereinfacht. Viele andere Reisende habe ich dann auch überraschend zu einem späteren Zeitpunkt meiner Tour wieder getroffen. Bernard zum Beispiel habe ich entlang der Carretera Austral und darüber hinaus sogar recht oft wieder getroffen. Das tolle an diesen erneuten Kontakten zu anderen Reisenden war, dass man bei den gemeinsamen Gesprächen nicht wieder bei null anfangen musste und so viel interessantere Gespräche möglich wurden. So, ergaben sich eine Vielzahl toller Konversationen und Bekanntschaften, die ich hier gar nicht alle aufzählen kann. An manche bleiben aber auch nur kleine Erinnerungen. Der spanische Fahrradmechaniker Gabriel ist zum Beispiel trotz seiner Erkrankung an Multiple Sklerose noch auf Radreise unterwegs gewesen. Er reparierte mir freundlicherweise an einem gemeinsamen Abend in einer Wartehalle einer Fähre meinen im unteren Bereich abgebrochenen Fahrradständer mit Holz und Draht. Er meinte zwar, dass seine Konstruktion nur ein paar Wochen halten würde, aber noch heute hält dieses Holzbein und macht mein Rad quasi zum „Piratebike“.

Als Reisender war ich meist nur an den Fahrtagen, nicht aber auf den Campingplätzen und in den Hostels wirklich alleine.

Allein heißt aber nicht einsam, oft wurde mir der Trubel dann auch irgendwann wieder zu viel und dann war ich froh mit meinem Rad wieder in die Ferne aufbrechen zu können. Der Kontakt zu Einheimischen im dünn besiedelten und innerhalb der Städte auch schon merklich vom westlichen Tourismus geprägten Patagonien erwies sich andererseits als nicht so stark wie zuvor erhofft.

Besonders beschäftigt hat mich während meiner Reise auch die Frage nach meinem weiteren beruflichen Zielen. Im Laufe meiner Tour entschied ich mich nach langem Kopf zerbrechen erst einmal für eine Abkehr von meinem alten Studiums Wünschen im Bereich Verfahrenstechnik/Chemieingenieurswesen. Meine gesammelten Erfahrungen haben dazu beigetragen, dass ich nun meine guten naturwissenschaftlichen Kenntnisse gerne mehr im Umgang mit Menschen nutzen würde. So fiel die Entscheidung auf ein Medizinstudium. So entschied ich mich im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres bei meinem Ruderverein Hermann Billung Celle e.V. noch ein weiteres Jahr zwischen Abitur und Studium einzuschieben, um mich mit dem Medizinertest und dem angerechneten FSJ hoffentlich einen Studiumsplatz bekommen zu können.

Nicht nur diese augenscheinlich wichtige und anstehende Entscheidung konnte ich während meiner Zeit auf Reisen treffen. Auch sonst half mir der viele Raum und die Zeit für tiefergehende Gedanken in Verbindung mit den neuen Erfahrungen sehr, mich in meinen Lebensvorstellungen und meiner Persönlichkeit zu festigen. Dazu gehört zum Beispiel, dass ich eine Menge Selbstvertrauen und Gelassenheit für meinen zukünftigen Ideen und Projekte aus der Tour mitnehme. Außerdem geben mir die unzähligen aber doch oft unkonventionelleren Lebenswege der Menschen die ich kennenlernen durfte, immer noch Inspiration, Zuversicht und Orientierung auf meinem eigenen Weg. Ich habe während der Reise viel Zeit gehabt und mir auch tiefgreifender Gedanken zu machen. Zeit die uns im Alltag sonst leider eher fehlt, aber die zur persönlichen Orientierung unfassbar wertvoll ist und die ich mir gerne auch in Zukunft immer wieder nehmen will. Kurzum war diese Reise sicherlich die beste Entscheidung meines Lebens bisher, da Sie mich gerade persönlich und erfahrungstechnisch sehr viel weitergebracht hat und prägend war.

Auch der persönliche Erfolg nach so langer Planung und vielen Gedankenspielen, meine Radreise wirklich beendet zu haben erfüllt einen mit Stolz. Ich bin aber auch dankbar, dass es mir in meinem engen Umfeld so leicht gemacht dieses Reise erfolgreich umzusetzen. Dazu führte auch die tolle Unterstützung meiner Familie und Freunde. Besonders meine Freundin Hanna hat mich sehr viel unterstützt und auch die längere Fernbeziehung in Kauf genommen, obwohl es für Sie sicherlich oft nicht leicht war. Vielen herzlichen Dank euch allen.

Neben diesem persönlichen Rückblick möchte ich hier im Anschluss noch im Rahmen einiger Statistiken, Karten und Erläuterungen zum Alltag auf meiner Tour den Einblick in diese Reise abschließen. Vielen Dank noch einmal für die Unterstützung, sowie das unerwartet hohe Interesse an meiner Reise auch aus entfernteren Bekanntenkreisen bis hier hin.

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2 Kommentare

  1. Jannik 19. März 2017

    Hey Sven,
    hier ist Jannik. Wir haben uns in Koblenz getroffen.
    Ich schaue mir gerade deine Seite und die letzten Berichte an.
    Sehr gut gemacht das Ganze!

    Kommt bald eine nächste Reise?

    Peace!
    Jannik

    • Sven Arved 30. März 2017 — Autor der Seiten

      Moin Jannik,
      sehr cool nach der spontanen Aktion in Koblenz nochmal von dir zu hören. Im Sommer gehts mit zwei Kumpels nochmal für drei Wochen mit dem Rad durch die Alpen in Südfrankreich/Italien und der Schweiz (Genf – Nizza – Marseille) 🙂 Ansonsten bin ich gerade in der Studiumsvorbereitung. Mehr gerne persönlich …
      LG Sven

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