Die Carretera war trotz oder gerade wegen aller Herausforderungen ein einzigartiges Radreiseerlebnis und gehört nicht ohne Grund international zu den ganz großen Radreiserouten.
Radreisende gehören auf der Carretera zum Alltag, der touristisch sonst nur wenig erschlossenen Region. Man hatte eher mit anderen Radreisenden, als mit den Bewohnern vor Ort zu tun. Während ich im Süden (z.B. auf Feuerland), nur alle paar Tage mal einen Radfahrer gesehen, traf man hier jeden Tag einige.
Nun habe ich die Carretera kurz vor ihrem Ende verlassen und einen Abstecher zum Cochamó Tal gemacht. Dieses Tal ist aufgrund seiner beeindruckenden Felswände ein Ziel für Kletterer aus aller Welt. Nach fünfstündiger Wanderung ist der Campingplatz La Junta im abgelegenem Talkessel erreicht, der den Ausgangspunkt für Bergtouren und dass Trekking zum Grenzpass bildet (3 Tage).
Die Gipfeltour auf den Berg „Arco Iris“ gehörte zu den schönsten Wanderungen die ich je gemacht habe. Steiler Anstieg mit einigen kurzen Kraxelpassagen mit Seil am glatten Fels im Mittelteil und später einfaches Trekking durch die Felswüste im Gipfelbereich bei traumhafter Aussicht.
Auf der Wanderung habe ich mich zwei chilenischen Studentinnen angeschloßen, die nur über Sportschuhe und wenig Erfahrung verfügten. So bin ich dann in den Fels- und Seilpasagen immer vorrausgekraxelt und habe danach versucht etwas Tipps zu geben. Wir haben uns gut unterhalten und danach haben sie mir noch von einem Wasserfall erzählt, den man als Rutsche benutzen kann. So sind wir nach der anstrengenden Wanderung noch kurz im arschkalten Wasser rutschen und angrenzendem See baden gegangen, da der Campingplatz eh gar keine Dusche hatte.
Nachdem wir am nächsten Tag gemeinsam zur Zivilisation zurückgewandert sind, habe ich mich auf den Weg nach Puerto Varas gemacht.
Die ganze Region ist durch deutsche Einwanderung im 19. Jahrhundert (und nachdem WK II) geprägt. Überall gibt es „Kuchen“ oder „Strudel“, einen deutschen Verein und sogar eine deutsche freiwillige Feuerwehr. Man wird von vielen Einheimischen auf ihre deutschen Wurzeln informiert, da man hier als Radreisender auch wieder viel mehr auffällt. Außerdem befinde ich mich in Puerto Varas das erste Mal seit Wochen wieder in einer Stadt.
Mit dem großen See Llanquihue (größer als der Bodensee) und dem perfekt kegelförmigen Vulkan bietet sich auch noch ein wunderbarer Ausblick.
Als ich diesen nördlich verlassen will tut sich ein wunderschönes Panorama vom See mit Vulkan im Hintergrund, sowie einer kleinen Insel im Vordergrund auf. Das Problem ist bloß, dass ich jetzt erst merke, dass ich meine Lenkertasche mit der Kamera liegen gelassen habe. Ich war mittags in einem der vielen „Restaurants“, die eher an eine familläre Kantine erinnern, in dem man für weniger als 5 Euro ein komplettes Menü bekommt und hatte die Tasche (zur Sicherheit :D) mit reingenommen. Im Fernsehen lief dann eine Sondersendung zu den Brüsseler Attentaten einige Stunden zuvor, sodass ich schon etwas nachdenklich war und erst nach 25km feststelle, dass die Lenkertasche fehlt.
Na ein paar Flüchen über meine eigene Verpeiltheit schließe ich mein Rad auf Campingplatz an und habe bereits nach zwei Sekunden Daumen hoch eine Mitfahrgelegenheit bekommen. Es geht auch schnell weiter. Das Restaurant ist zwar geschlossen, aber nachdem die Nachbarin die Geschichte gehört hat fährt sie mich direkt mit dem Auto zum Haus des Restauranteigentümers. Dort ist dieser aber nicht anzutreffen und es wird in hinterher telefoniert.
Nur eine Minute später kommt er mit dem Auto angebraust und hält die Tasche wie eine Trophäe in die Luft, freut sich wahrscheinlich sogar in dem Moment mehr als ich, der verdattert daneben steht. Er hatte die Fotos der Kamera angeguckt um irgendwelche Kontaktmöglichkeiten aufzufinden und als dass nicht erfolgreich war ist er, direkt nach Arbeitsende mir nach Norden hinterher gefahren. Wir hatten uns kurz über meine weitere Route unterhalten, aber haben uns natürlich gegenseitig knapp verpasst, da ich schon am zurücktrampen war.
Er erklärt sich dann zur Krönung des ganzen auch noch bereit, mich gleich zu meinem Rad zurück zufahren, er müsse nur kurz vorher noch was erledigen. Nach einer Minute sitzen wir im Auto und er fährt mich zurück. Es stellt sich heraus, dass er auch jedes Jahr ein paar Wochen alleine Radurlaub macht und dass mit seinen mittlerweile 70 Jahren schon seit über zwei Jahrzehnten. Wir unterhalten uns sehr lebhaft und er versichert mir mehrfach, dass in diesem Teil Chile nie etwas wegkommt. Kein Wunder, dass viele Leute hier noch nicht mal ihr Rad abschließen.
Als ich dann wieder auf dem Rad sitze, fällt mir auf wie wertvoll diese Begegnung war. Die Gastfreundschaft im Süden, gerade abseits der etwas Fahrradtourismus geprägten Carretera Austral ist einfach großartig. Da hat es ungemeine Vorteile, dass einem wenn man irgendwo auf dem Rad einrollt vor allem mit Interesse, Verblüffung (Alleine? Soweit? So lange? usw. ) und Freundlichkeit begegnet wird. So ist man oft nicht nur ein Backpacker/Tourist von vielen, sondern kann viel leichter ein Gespräch aufbauen.
Eine Reise auf dem Rad ist langsam und körperlich sicherlich manchmal beschwerrlich, aber ich könnte mir keine Reiseform vorstellen, bei der man so unabhängig und doch so nah an Menschen und Natur in seiner Umgebung ist.
Momente wie die beeindruckende Hilfsbereitschaft im Falle meiner Kamera oder die Einladung zum Abendessen von zwei pensionierten Weltbankangestellten sind tolle Gesten von netten Mitmenschen, mit denen man halt auf dem Rad viel einfacher in Kontakt kommt.
Nächster Blogpost kommt in Kürze, dann gehts weiter in Argentinien …